KompetenzenWir gehen den folgenden Fragestellungen nach: Wie lassen sich Denk- und Gestaltungsräume durch Klang erweitern? Was passiert mit einem Text und seinen inneren Bildern, wenn er eine zusätzliche Klanglichkeit, Zeitverzögerung und/oder Räumlichkeit kriegt? Wird der Text dadurch ärmer oder wird er dadurch reicher? Wie verändert sich dadurch Empfindung beim Sprechen, wie beim Hören? Verändert sich dadurch seine Aussage? Inwiefern? Ist dies für mich, den Sprechenden/die Sprechende, ein Gewinn? Ab wann kriegt die klangliche Zusatzebene Eigenständigkeit, die den Text untergräbt, verstärkt, doppelt, korrumpiert?
Wie können künstlerisch beabsichtigte Wirkungen erzielt werden, die das Überraschungsmoment des reinen Effektes überwinden? Welche eigentlichen Inhalte möchte ich einem performten Text unterlegen? Welcher Hilfsmittel möchte ich hierzu kennenlernen, welcher Hilfsmittel möchte ich mich bewusst bedienen?
Wie beim 'Spiel mit dem Scheinwerfer' ('Du musst dich ins Licht stellen, das Licht spüren und mit ihm spielen') vergrössern wir die Sensibilität auditiver Signale und akustischer Reize. Es soll das Bewusstsein für Töne, Klänge und Geräusche geweckt werden in gleichzeitig ernster Freude und spielerischer Konzentration.
InhalteWir machen uns mit dem Reich der Akusmatik vertraut. Mit Hilfe von reverse engineering erforschen wir stimm-technische Möglichkeiten von gesprochenem Text. Als Material dient uns hierfür die Lyrik von Paul Celan (1920 - 1970). Celans Werk, geprägt von seinen Erfahrungen im Holocaust, und gleichzeitig in der Tradition Hölderlins, Büchners und Trakls gehört zu den bedeutendsten Dichtungen des 20. Jahrhunderts, die das Sagbare und Un-Sagbare, die Schwelle zwischen "immer noch" und "schon nicht mehr”, auf faszinierende Weise auslotet und gleichermassen über Klang und Semantik erschlossen werden kann.
Durch technische Erweiterung und Vergrösserung (Mikrophon, Kopfhörer, Lautsprecher, Effektgeräte, Klangregie) manipulieren und vergrössern wir erst stimmliche Möglichkeiten – so wie es die Kamera für das Spiel mit dem Gesicht tun kann – und kreieren künstlerische Aussagen, die wir über den Text hinaus vermitteln möchten. Danach rekonstruieren (rück-übersetzen) wir sie zurück in die unverstärkte Bühnensituation, indem wir eine Art 'Partitur' erstellen.
Einzel- und Gruppenarbeiten. Erst gibt es eine Einführung in die Akusmatik (auditive Wahrnehmung), danach erarbeiten wir uns in Form von Übungen erste Grundlagen in Klangregie und peripherem Hören. Wir machen Erfahrungen im Sprechen mit Mikrophon und üben die Steuerung des Klanges im Raum am Mischpult. Wir arbeiten dabei mit den Parametern Nähe/Distanz, Spatialisierung (der Verteilung des Klanges im Raum), Delay (Zeitverzögerung) und Reverb (Hallräume - chorisches Sprechen). Zum Schluss übertragen wir die erarbeiteten Klangabläufe in analoge Sprechsituationen, wir rückübersetzen sie in Sprech- und Performancesituationen ohne elektronische Unterstützung. Dazu gibt es eine Einführung in Leben und Werk von Paul Celan und Grundlagen des Sprechens von Lyrik.
Bibliographie / LiteraturPaul Celan: Gedichte in zwei Bänden. Suhrkamp
ders.: Der Meridian und andere Prosa. Suhrkamp
Wolfgang Emmerich: Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen. Wallstein
Klaus Reichert: Paul Celan - Erinnerungen und Briefe. Suhrkamp