Das Subjekt ist verschwunden, der Autor tot … und trotzdem ist das »Ich« als Praxis eines situierten Theorie-Schreibens höchst lebendig; spätestens seit Maggie Nelsons The Argonauts 2015 offensiv als »Autotheorie« beworben wurde und Paul B. Preciados Testo Junkie (2008/2016) körperpolitisch autofiktional Schluss machte mit »der Folgenlosigkeit von Theorie für das Leben« (Daniel Loick). Dieses spezifische Ich-Schreiben geschieht dabei keinesfalls wider besseren Wissens, also der grundlegenden poststrukturalistischen Dekonstruktion der Ich-Perspektive. Im Gegenteil, dieses »Ich«, das hier geschrieben-werdend schreibt »hat an das autarke Ich nie geglaubt«; ist Teil einer Selbstermächtigungsstrategie; ist »Ich-Funktion« (Isabel Mehl). Es ist offenkundig sozial, diskursiv und materiell verstrickt, so relational wie prekär, und ›first of all‹, eine Aussageform und Mitteilung, ein Angebot zur Teilhabe an einer singulären Sicht.

Die kritische Potentialität einer solchen Ich-Funktion zu nutzen, ist nicht erst eine Erfindung von queer-feministischen Theoretiker*innen der 00er und 10er Jahre. Sie geht wesentlich zurück auf Schreibpraktiken und Theorien einer älteren Generation von Feminist*innen (of Colour), deren Schreiben ein zwangsläufig situiertes war: Für Gloria Anzaldúa, Audre Lorde oder Adrienne Rich stand der universalistische Standpunkt eines nicht-markierten, nicht-verkörperten Subjekts schlicht nicht zur Verfügung. Dass ihr Schreiben auf nicht abzuschüttelnde Weise mit Lebensweltlichem und Körperlichem verstrickt war, auf nicht neutralisierbare Weise verortet, rassifiziert, sexualisiert und behindert wurde, machten sich Autor*innen wie sie zum wissenspolitischen Vorzug, zum »Privileg der partialen Perspektive« (Haraway): Ihre schreibend-geschriebenen Ichs wurden semiotisch-materiell konstruktiv; praktizierten ein relationales, verletzliches Schreiben.

In Textdiskussionen, Vorträgen, Inputs und Workshops fragen wir im Rahmen der Herbstakademie nach ästhetischen Formen, zeitgeschichtlichen Kontexten und wissenspolitischen Potentialen von »Ich-Funktionen«, verkörpertem Schreiben und situierter Theoriepraxis. Welche ästhetischen Strategien des Ich-Sagens lassen sich in verschiedenen Zusammenhängen differenzieren? Wie verhalten sich dabei Empfinden und Wahrnehmen zum Schreiben und Theoretisieren? Wann wird welches »Ich« zu welchem »Wir« und welches »Wir« zu welchem »Ich«? Welche Rolle spielen dabei »Du«, »Ihr« und die »Anderen«? Was können wir – die Teilnehmende der Herbstakademie, als Studierende, Lehrende, Vermittler*innen, Kritiker*innen, Kulturtheoretiker*innen und Schreibpraktiker*innen – lernen vom Ich-Schreiben Anzaldúas oder Preciados? Vom Schreiben aus (m)einem Körper?