Geschichte ist kein Monopol. Und doch hat die Erzählung vom modernen Fortschritt dieses für sich beansprucht. Die damit verbundene Gefahr ist, nur die eine Version zu kennen, nämlich die der Erfolgreichen, der Sieger, wie Walter Benjamin es 1939/40 in ‘Über den Begriff der Geschichte’ formulierte. Einige zeitgenössische künstlerische Praktiken beteiligen sich an dem Projekt, über andere Arten des Erzählens nachzudenken und Machtverhältnisse kritisch zu reflektieren, um Geschichte zu diversifizieren. Die Reflexion über sozio-historische Ereignisse und die Kritik an normativen westlichen Erzählungen werden zum zentralen Bestandteil der künstlerischen Produktion. Uns interessiert das Verhältnis zwischen Geschichtsschreibung und dem Erzählen. Entlang des Titels Underwritten Histories, den wir der Ausschreibung der Ausstellung Inevitable Distances von Renée Green verdanken (vgl. https://migrosmuseum.ch/en/exhibitions/renee-green), werden wir uns mit bisher zu wenig geschriebenen und daher nicht erzählten Geschichten befassen und Positionen kennenlernen, die sich dieser Aufgabe annehmen. Ausgangspunkt bietet ein gemeinsamer Besuch der genannten Ausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst zu Beginn des Seminars. Das Seminar verfolgt die Idee von sogenannten Read-Ins, bei denen wir Texte in Ausstellungsräume mitbringen. Gesucht wird ein Dialog zwischen den künstlerischen Positionen, den Ausstellungsräumen, den Texten und uns – wobei uns Fragen beschäftigen sollen, wie: Welche Geschichten halten wir lebendig? Wer erzählt die Geschichten wem, warum – und wem hören wir zu? Woran erinnern wir uns? Was überhören wir? Wie gelangen wir an zu wenig geschriebene Geschichten? Mit welchem Ohr hören wir diese Geschichten? Wie vermag Kunst Erfahrungen zu erzählen und vielleicht auch zu vermitteln? U.v.m. (abhängig von den Teilhabenden) Transfer Forschung-Lehre: Das Seminar ist eine Kooperation zwischen dem MAE und dem Forschungsschwerpunkt Kulturanalyse in den Künste und findet im Kontext der Zeichenwerkstatt statt, einer Nachwuchsforschungsgruppe an den Schnittstellen von kunst-/kulturwissenschaftlicher und künstlerischer Praxis im Feld der Kulturanalyse.