Im Mai 2020 wurde vor genau 100 Jahren Vilém Flusser geboren, der heute als einer der Gründer der Medienphilosophie gilt. Sein 1991 veröffentlichtes Buch „Gesten. Versuch einer Phänomenologie“ blieb lange Zeit im Schatten der international bekannten Arbeiten wie „Für eine Philosophie der Fotografie“ oder „Kommunikologie“, bietet jedoch heute womöglich noch mehr Anregungen als bei seiner Entstehung – in der Medienwissenschaft ebenso wie der Ästhetik, Philosophie oder Anthropologie. Überlegungen zur Technik, Fotografie, Film, Video, Telefon oder Schrift verbindet Flusser im Rahmen seiner „Theorie der Gesten“ mit Gesten des Pflanzens, Rasierens, Malens, Suchens oder Maskenwendens – und erweitert damit seinen „technikdeterministischen“ Standpunkt. Im Mittelpunkt steht nicht der Apparat, der alles Denken, Wahrnehmen und Handeln bestimmt, sondern kulturell und technisch bedingte, und doch freie „Gesten“, Praktiken, die Mensch und Ding, die materielle und symbolische, passive und aktive Dimension des In-der-Welt-seins verbinden. 

Die „Theorie der Gesten“ ist gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der Praxis der Theorie: dem Denken in Schrift, dem Betrachten in/mit/durch Fotografie, Film oder Malerei oder dem „telefonischen“ oder „pflanzenden“ Begreifen.

Flussers Gesten der Theorie werden im Seminar in den Kontext anderer Philosophien der Geste, wie der Jean-Francois Lyotards, Giorgio Agambens und Judith Butlers gestellt und als Figur eines Grenzgangs von Theorie und ästhetischer Praxis diskutiert, ebenso wie praktisch im Rahmen eines künstlerischen und/oder wissenschaftlichen Projektes reflektiert.